WENN ÄLTERE GESCHWISTER ENTTHRONT WERDEN
Was unsere Kinder nach der Geburt des Babys wirklich brauchen, um die Krise zu bewältigen und wie wir die Eifersucht auf das Geschwisterchen mindern können
In sämtlichen Ratgebern wird die Eifersucht nach der Entbindung thematisiert. In meinen Kursen zu diesem Thema, erkläre ich die Situation immer so:
Stell dir vor, dein Mann kommt nach Hause, mit Sabine im Arm. „Die wohnt jetzt auch hier. Ich liebe sie jetzt auch, und sie schläft auch mit in unserem Bett. Aber sie ist ganz toll! Sie hilft dir bei der Hausarbeit und kümmert sich um mit dir um die Erziehung der Kinder“
Tja… wie fühlen wir uns wohl? Wir können nun entscheiden, ob wir Sabine samt unserem Mann rausschmeißen, oder dem ganzen eine Chance geben. Dein Erstgeborenes hat diese Wahl nicht. Mal abgesehen davon, dass ihr sicher nicht vor gefragt hat, es ihr ein Baby haben dürft. Selbst wenn, was wäre ein dein Erstgeborener nein gesagt hätte?
Selbst wenn das große Kind sich sehr ein Geschwisterchen wünscht, ist ihm die Tragweite nicht bewußt. Denn ab sofort, muss alles was man lieb hat, geteilt werden! Mama, Papa, Oma, Opa…. das eigene Zuhause und und und
„Kaum eine andere kindliche Erfahrung ist so einschneidend wie die des Einzelkindes, wenn es ein Geschwisterchen bekommt. Es ist für das Kind die erste große Lebensprüfung, die es durchzustehen hat. Mit dem Geschwister wird alles anders. Das Vertraute schwindet. Bis dahin konnte sich das Erstgeborene als Teil der Erwachsenenwelt fühlen. Seinem Empfinden nach war diese Welt der Erwachsenen wegen ihm und für ihn da. Nun gehört ihm diese Welt nicht mehr voll. Sie wendet sich einem anderen Stern zu. Das Kind fühlt sich ausgeschlossen, auf sein Eigenes zurückgeworfen. Im Denken und Fühlen ist es schon so weit, dass es diese erste Lebenskrise bewusst verarbeiten muss. Diese umwerfende Erfahrung kann mit einer großen Angst einhergehen, sie kann aber auch die Weichen für eine große Chance stellen“ [Prekop, J., 2002: 95].
Deine Aufgabe ist es nun, dein Erstgeborenes aufzufangen und die Verwirrung zu mildern.
- Bringe deinem Kind Verständnis entgegen. Egal ob es tobt und wütet oder quengelig ist und häufig weint. Seine kleine Welt ist komplett auf den Kopf gestellt
- erwarte nicht, dass dein Kind sich freut! Ihm ist die Tragweite eines Geschwisterchens nicht bewusst
- dein Erstgeborenes muss immer das Erstgeborene bleiben
- überlegt Euch ein schönes erstes Aufeinandertreffen der beiden Kinder
- Lass dein großes Kind, das Kleine entdecke. Greife diesem nicht vor!
- Akzeptiere es, wenn dein Großes Rückschritte macht. Wieder Windeln oder Schnuller haben möchte
Wie Kinder das Bedürfnis nach mehr Aufmerksamkeit ausdrücken
Es gibt viele verschiedene Arten, wie entthronte Kinder ihren Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit ausdrücken. In den allermeisten Fällen sind diese Wege eher destruktiv und bringen negative Aufmerksamkeit. Psychologe Rudolf Dreikurs schreibt: Das Kind braucht
“ […] andauernd neue Beweise dafür, dass es nicht übersehen und vernachlässigt wird. Zuerst kann es versuchen, durch sozial anerkannte und erfreuliche Mittel wie Charme, Herzigkeit, altkluge Bemerkungen oder ähnliches sein Ziel zu erreichen. Verlieren jedoch diese Methoden ihre Wirkung – z. B. weil jüngere Geschwister im Mittelpunkt stehen oder weil die Erwachsenen nun von dem Kind erwarten, dass es sein „kindisches“ Benehmen aufgibt – wird es jedes nur erdenkliche Mittel anwenden, um […] Aufmerksamkeit zu erregen. Unangenehme Nebenwirkungen wie Demütigung, Bestrafung oder sogar körperliche Züchtigung werden in Kauf genommen, solange der Hauptzweck erreicht wird. Ignoriert zu werden ist für Kinder schlimmer, als getadelt, bestraft und sogar geschlagen zu werden“ [Dreikurs, R., 2009:47].
Je nach Temperament des Kindes werden verschiedene Strategien gewählt, um uns auf ihren Wunsch nach „Gesehen-werden“ aufmerksam zu machen.
„Du bist immer noch mein Kleines“, will das Erstgeborene hören – und auch so behandelt werden. Je mehr Sie diese Nachholbedürfnisse sättigen, desto schneller geht die Regression vorüber. Denken Sie daran, dass eine Kinderpsychotherapeutin das Gleiche tun würde, allerdings fachlich als Psychodrama inszeniert. Ein ganz normales Mama-Baby-Rollenspiel zuhause erfüllt den gleichen Zweck, wenn das Bedürfnis des Kindes rechtzeitig erkannt und dadurch neurotisierende Festigung der Symptome verhindert wird“ [Prekop, J., 2002: 203f].
Ein besonders effektives Mittel gegen Eifersucht ist übrigens Tandemstillen. Sollte euer großes Kind also noch nicht so groß sein und noch die Technik des Stillens beherrschen, dann lasst es ruhig wieder an eure Brust. Mama-Milch trinken zu dürfen ist der ultimative Beweis für euer Kind, dass das Baby ihm nichts wegnimmt. Das Ganze klappt natürlich nur bei einer relativ schnellen Geschwisterkindfolge oder wenn ihr langzeitstillt, aber wenn ihr die Möglichkeit habt, eure Kinder Tandem zu stillen, tut es!
Mein Kind zieht sich zurück
Wenn ein erstgeborenes Kind sich eher ruhig verhält, sich ungewöhnlich oft zurückzieht und leise für sich spielt, sind die Eltern oft erleichtert und glücklich, dass die nachgeburtliche Geschwisterkrise so glimpflich und zur Zufriedenheit aller abläuft. Oft fällt auch gar nicht auf, wenn ein Kind ruhiger ist – die Eltern sind verständlicherweise so mit dem Baby beschäftigt, dass das stille Leiden des großen Kindes nicht registriert wird.
Wer leise ist, fällt nicht auf, sondern hinten runter – das gilt nicht nur für die Schule, sondern auch für die Zeit nach der Geburt des Geschwisterchens.
Fazit: Ich könnte noch lange so weiterschreiben. Aber dann wird der Post einfach viel zu lang… Wenn dich das Thema interessiert, ich arbeite derzeit an einem Workshop, der dann alle Facetten dieser Zeit aufgreift.